Wie können wir in einer komplexen, vernetzen und unbeständigen Welt agieren? In was für Beziehungen stehen wir zueinander und von welchen träumen wir? Von der Kernfamilie bis zu Verbünden aus menschlichen und nichtmenschlichen Akteuren – „Based on these new dependencies, we define five normal forms“ zielt darauf ab, die Entwicklung neuer sozialer Beziehungen anzustoßen, unartikuliertes Begehren nach anderen Beziehungsweisen auszudrücken und alternative Vorschläge für das Zusammenleben zu machen. Dafür wird in der Ausstellung der Blick auf einen Moment in der Geschichte geworfen, in dem utopische Formen des Zusammenlebens und ‑arbeitens ausprobiert wurden. Die Ausstellung und das Begleitprogramm greifen Bruchstücke aus dem Proletkult heraus, um heutige soziale Beziehungen radikal zu rekombinieren.
Die Proletkult-Bewegung wurde zu Beginn des 20. Jahrhunderts unter anderem vom Philosophen und Revolutionär Alexander Bogdanov geprägt. Er sah die Welt als komplexe Beziehungsgeflechte und vertrat die Ansicht, dass für eine wirkliche Veränderung der Verhältnisse zuerst eine neue Kultur entstehen müsse. Innerhalb kurzer Zeit gründeten sich in Russland Hunderte von Proletkultklubs, ‑ateliers und ‑fabrikgruppen, in denen durch Selbstbildung eine neue, unabhängige, proletarische Kultur entstehen sollte, die den Geist des Kollektivs widerspiegelte.
„Based on these new dependencies, we define five normal forms“ sucht und spinnt Verwandtschaften und Verbindungen zwischen den Werken der MMOMA-Sammlung und zeitgenössischen Werken. Inspiriert von historischen Arbeiterklubs bietet die Ausstellung Raum für eine Vielzahl unterschiedlicher Nutzungsweisen: als Ort, um Kunst zu erleben, aber auch als Bibliothek, Trainingsfeld und Orakel. Eine Fotografie Alexander Rodtschenkos von seiner Gestaltung eines Arbeiterklubs für die Weltausstellung 1925 dient als Gegenüber für die relationalen Skulpturen von Paula Gehrmann. Diese fungieren als Rahmen, Kulisse und Ausstellungsarchitektur. Innerhalb dieser variablen Strukturen findet ein mehrtägiger Workshop von Constanze Müller statt. Sie bringt Mitglieder des D21 Kunstraum Leipzig mit Moskauer_innen zusammen, die sich mit Fragen von Selbstorganisation auseinandersetzen. Im Workshop werden mögliche Konflikte diskutiert und mit verschiedenen Methoden des Zusammenarbeitens experimentiert. Anne Krönker verarbeitet Teile des Fußbodens des D21 Kunstraum zu skulpturalen Ordnungen. Diese werden, beeinflusst von den Assoziationen und Geschichten des Publikums, in einem Workshop verändert, wobei die Spuren sichtbar bleiben. Adelita Husni Bey und Kirill Savchenkov beschäftigen sich mit partizipativen Methoden und Reformpädagogik: Husni-Beys Videoinstallation ist das Ergebnis eines Workshops, in der Jugendliche sich vorstellen sollten, den Mars zu besiedeln. Auch Savchenkov setzt die Idee des Anderswo für seine Performances ein, als Übungsfeld für das Leben in einer unsicheren Gegenwart. Die Arbeit der Agency for Singular Investigations greift Ideen der historischen Avantgarde auf, die Grenzen zwischen Kunst und Leben neu zu definieren, wobei sie diese radikal neuinterpretieren. In einer Petition schlagen sie vor, die Russische Föderation als Kunstwerk zu deklarieren. Auch Zbyněk Baladrán und Katharina Zimmerhakl setzen sich in ihren Arbeiten mit den Utopien der frühen zwanziger Jahre auseinander. Sie appropriieren Texte von Bogdanov und seinen Zeitgenossen, um sie für ein zeitgenössisches Denken über das Kollektiv nutzbar zu machen. Elsa Artmann & Samuel Duvoisin untersuchen durch tänzerische und malerische Übungen Systeme, mit denen wir alle vertraut sind: Mit „family scores“ laden sie das Publikum ein, kleine Handlungen auszuführen, die hinterfragen, was Familie sein könnte. Ilmira Bolotyan verfolgt dieses Thema in einer Reihe von Workshops weiter. Und schließlich lädt “Tarot for collective bodies” von Pavle Heidler, Elli Kuruş Marko Gutić Mižimakov, Silvia Marchig und Sonja Pregrad die Besucher_innen dazu ein, eine Tarot-Lesung für einen kollektiven Körper zu erhalten, dessen Teil sie selbst sind.