17. Juni 2025

Christina Werner im Gespräch mit Barbara Steiner [german only]

Ausstellung: Disruptive Structures

2023 rea­li­sier­te Christina Werner “Rhythm is a dancer” für das Bauhaus Dessau. Diese mehr­tei­li­ge Arbeit basiert auf dem Vorgängerprojekt “Die Straße. Im Rhythmus der Arbeiter:innenschaft”, ent­stan­den 2020 für eine Ausstellung im Auftrag der AK Kultur Wien. Darin ver­bin­det die Künstlerin Recherchen zur Arbeiter:innen-Bewegung in Wien und Dessau mit einem Interesse an zeit­ge­nös­si­schen Protestbewegungen. In bei­den Fällen ste­hen kol­lek­ti­ve Formen, um poli­ti­sche Anliegen in den öffent­li­chen Raum zu tra­gen, im Vordergrund des künst­le­ri­schen Anliegens.

Werner bezieht sich auch auf die soge­nann­ten Bewegungschöre der Arbeiter:innen, in denen tan­zen­de oder semi­professionelle Laien im Sinne einer cho­risch orga­ni­sier­ten Masse in den urba­nen Raum wirk­ten, um ihren Anliegen Sichtbarkeit zu ver­lei­hen. Körper und Gesten wur­den als sicht­ba­re poli­ti­sche Zeichen der Zusammengehörigkeit und des Widerstands ein­ge­setzt. Zusammen mit ver­schie­de­nen Akteur:innen hat Werner his­to­ri­sche und aktu­el­le Posen und Gesten zu einer neu­en kol­lek­ti­ven Foto-Performance­-Serie wei­ter­ent­wi­ckelt. Über Fotografien, Performance, Video und Versatzstücke der poli­ti­schen Agitation erin­nert die Künstlerin an die gesell­schaft­li­che Aufbruchsstimmung der 1920er Jahre und holt sie über den kör­per­li­chen Nachvollzug ins kol­lek­ti­ve Gedächtnis zurück. Auf die­se Weise ver­zah­nen sich Stadtraum, Performende und die Geschichte einer eman­zi­pa­to­ri­schen Bewegung mit dem Heute.

Ein Gespräch zwi­schen Barbara Steiner und Christina Werner

 

Wie kam es zum Titel „Rythym is a dancer“?

Der Titel bezieht sich auf den gleich­na­mi­gen Song der Gruppe „Snap“ aus dem Jahr 1992. 

Dort heißt es: “Rhythm is a dancer…You can feel it ever­y­whe­re. Lift your hands and voices. Free your mind and join us.” Ich bezie­he mich in mei­nen künst­le­ri­schen Arbeiten oft auf Quellen der Populärkultur. Musik und Musikvideos spie­len für mich eine wich­ti­ge Rolle. Sie sind zugäng­li­cher als Bildende Kunst, direk­ter, und kön­nen viel mehr Menschen erreichen.

Das Video zum Song wirkt sehr futu­ris­tisch für die dama­li­ge Zeit. Die „Roboterbewegungen” erin­nern mich an Sportaufführungen der Arbeiter:innen aber auch an die Tanzavantgarde des frü­hen 20. Jahrhunderts. Die abs­trak­ten kon­struk­ti­vis­ti­schen Grafiken und mon­ta­ge­ar­ti­gen Filmszenen, die im Video ein­ge­blen­det wer­den, rufen eben­falls die­se Zeit auf. Die Flugnavigationskarten, die der Regisseur des Videos Howard Greenhalgh ein­setzt, und auch der Ort, an dem das Video gedreht wur­de – das „Kennedy Space Center“ in Florida – sug­ge­rie­ren Aufbruchsstimmung, man könn­te auch sagen, Zukunftsstimmung.

Die Raketenabschussbasen im Hintergrund und das Gelände davor mit den mar­tia­lisch anmu­ten­den Metallgerüsten wer­den von den Performenden in Betrieb genom­men. Die mili­tä­ri­sche Bedrohung rückt in den Hintergrund. Die Gleichschaltung der Bewegungen, die an tota­li­tä­re Systeme erin­nert, wird immer wie­der durchbrochen. 

Die 1990er fin­de ich aus poli­ti­scher Sicht span­nend, zu die­ser Zeit fiel der Eiserne Vorhang und damit ein­her­ge­hend kam es zum Niedergang des Kommunismus in Europa. In den 1990er Jahren bre­chen alte poli­ti­sche Systeme zusam­men, der „Rechtspopulismus“, der in Österreich stark durch Jörg Haider geprägt wur­de, taucht auf. Die Welt ord­net sich neu, das „World Wide Net“ erfährt sei­nen Aufstieg, der west­lich gepräg­te Kapitalismus mit sei­nem Credo „Der (ent­grenz­te ) Markt regelt alles“ nimmt an Fahrt auf. Eine Art „No Limit“ – „Alles ist mög­lich Gesellschaft“ bil­det sich her­aus. Das wird von vie­len als eine Art Freiheit erlebt, schafft aber neue gesell­schaft­li­che Spannungen. Das war Anfang des 20.Jahrhunderts nicht anders. Am Beginn von Umbruchszeiten wirkt das Versprechen einer neu­en Zeit.
Die Eurodance Szene spie­gelt die­sen Geist für mich.

Heute ste­hen die libe­ra­len Demokratien in Europa gehö­rig unter Druck, der Rechtsruck ist kein par­ti­el­les Phänomen mehr. Hier sehe ich eben­falls ein fort­ge­setz­tes Interesse in dei­ner künst­le­ri­schen Arbeit, das bereits mit „Neues Europa“ begon­nen hat und letzt­lich auch in “Rhythm is a dancer” und “Die Straße. Im Rhythmus der Arbeiter:innenschaft” zu fin­den ist.

Der Zusammenhang von Wirtschaftskrisen und dem Erstarken rech­ter Politiken wird der­zeit wie­der deut­li­cher denn je. Eine tie­fe Unzufriedenheit in der Bevölkerung macht sich breit. Dieses Phänomen sehe ich auch – wenn auch mit ande­ren Vorzeichen – Ende der 1920 Jahre, hier bezie­he ich mich auf die Weltwirtschaftskrise von 1929 bis 1933. Diese Zeit war von mas­si­ven poli­ti­schen Umwälzungen geprägt und rech­te Gruppierungen ver­zeich­ne­ten einen gro­ßen Zulauf. Heute sind wir eben­falls mit mul­ti­plen Krisen kon­fron­tiert, wie etwa Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine und die damit ver­bun­de­ne Energiekrise, Getreideknappheit etc., Klimawandel etc. Deshalb braucht es mehr Solidarität und gemein­schaft­li­ches Handeln in der Gesellschaft, um die­sen Zulauf und das Erstarken der Rechten zu ver­mei­den. Hier setz­te ich mit mei­ner künst­le­ri­schen Arbeit an. Mein künst­le­ri­sches Interesse gilt neben dem Erstarken der neu­en Rechten den Geschichten von Orten, die ver­schwun­den sind bzw. für die Stärkung natio­na­ler Identitäten neu genutzt wur­den bzw. wer­den. Mitunter wer­den die­se auch – eben­falls von rechts – instru­men­ta­li­siert, aber sie haben auch für ande­re eine wich­ti­ge Funktion. Mir stell­te sich nach einer lan­gen Auseinandersetzung mit Europas Rechtspopulisten und ihren his­to­ri­schen Rückgriffen und Aneignungen – etwa auf die Hitler Ära – irgend­wann die Frage, wel­che poli­ti­schen Strömungen vor der Übernahme der Nationalsozialisten sowohl in Österreich als auch in Deutschland existierten.

Insofern boten die Einladung der Stiftung Bauhaus Dessau und die Bitte auf­bau­end auf “Die Straße. Im Rhythmus der Arbeiter:innenschaft”eine ortspe­zi­fi­sche Arbeit für das Bauhaus in Dessau zu ent­wi­ckeln die Möglichkeit mit dei­nem Interesse fort­zu­set­zen. Ich hat­te ja die Ausstellung der Arbeiterkammer in Wien gese­hen und sofort gedacht, dass dies im Dessauer Kontext span­nend sein wür­de, zum einen aus his­to­ri­schen Gründen, zum ande­ren als Erweiterung und Aktualisierung unse­rer dies­jäh­ri­gen Auseinandersetzung mit Körperkulturen und ver­schie­de­nen Formen der Körperkommunikation. Wie ver­hal­ten sich die bei­den Arbeiten, also „Rhythm is a dancer“, die du für Dessau orts­spe­zi­fisch ent­wi­ckelt hast, und „Die Straße. Im Rhythmus der Arbeiter:innenschaft“, die du für eine Ausstellung in der Arbeiterkammer Wien umge­setzt hast, zuein­an­der? Was unter­schei­det, was ver­bin­det sie?

Zum einen ist der Ausgangspunkt ein ande­rer: Wien war in den 1920er Jahren sozi­al­de­mo­kra­tisch geprägt. Es wur­de als „Rotes Wien“ bezeich­net, weil die Sozialdemokrat:innen im Zeitraum von 1919 bis 1934 allei­ne regier­ten. Deren Ziel war es, eine lebens­wer­te Stadt für ALLE in Wien zu schaf­fen. Man inves­tier­te sehr viel in den sozia­len Wohnbau, Bildung und Gesundheit. Die Stadt Dessau hin­ge­gen wur­de wäh­rend der Weimarer Republik von einer Koalition aus Sozialdemokratischer und Deutscher Demokratischer Partei regiert. In der Zeit kam das Bauhaus von Weimar nach Dessau – eine Stadt in einer boo­men­den Industrieregion, die auch vie­le Arbeiter:innen in die Stadt gezo­gen hat­te. Von den inno­va­ti­ven Industrien der Region ver­sprach sich das Bauhaus eini­ges an Kooperationsmöglichkeiten, und umge­kehrt erhoff­te man durch das Bauhaus vor allem Lösungen für einen sozia­len Wohnungsbau. In der Zeit man­gel­te es ja enorm an preis­wer­tem Wohnraum für die Massen. 

Beide von dir erwähn­te Arbeiten set­zen sich mit Körperpolitiken im öffent­li­chen Raum aus­ein­an­der. Choreographien der Arbeiterkulturbewegung, des Protests und der Tanzmoderne wer­den the­ma­tisch auf­ge­grif­fen, mit­ein­an­der ver­wo­ben, in einen neu­en Kontext gesetzt und visua­li­siert. Wo setzt dein Interesse an?

Mein Interesse gilt ins­be­son­de­re dem damals moder­nen Laientanz. Hier sind zwei Ebenen für mich rele­vant: sei­ne Institutionalisierung durch den Tänzer und Choreografen Rudolf Laban und des­sen Schüler:innen und spä­te­ren Lehrer:innen wie z.B. Jenny Gertz, Ilse Lösch und Otto Zimmermann, sowie sei­ne Verbreitung und Weiterentwicklung durch die Arbeiter:innenfestkultur, die wie­der­um in Zusammenhang mit der Arbeiter:innensportbewegung steht. 

Der Laientanz kam oft bei soge­nann­ten Bewegungschören zum Einsatz. Frauen, Männer, jung und alt, Kinder – Laien aus unter­schied­li­chen gesell­schaft­li­chen Bereichen und pro­fes­sio­nel­le Tänzer:innen agier­ten Seite an Seite. Es ging um ein gemein­sa­mes Teilen des Raumes – das ist eine star­ke sozia­le Komponente des Bewegungschores. Sowohl in Wien als auch in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen hat sich eine viel­fäl­ti­ge Laientanzpraxis ent­wi­ckelt, das ist also ein ver­bin­den­des Element zwi­schen Wien, Dessau und vie­len ande­ren Orten mit einer star­ken Arbeiter:innenschaft.

Getanzt wur­de in Parks, auf Bühnen, aber auch bei poli­ti­schen Veranstaltungen und Festspielen. Der Einsatz von Körpern und Symbolen war aller­dings zu Zeiten des “Roten Wiens” ein ande­rer als im Dessau der 1920er Jahren. Archivfunde in Dessau bele­gen die Macht der Masse im öffent­li­chen Raum. Aufgrund der poli­tisch ange­spann­ten Situation in Dessau wur­den Banner, Flaggen und ande­re poli­ti­sche Symbole bei Demonstrationen, Spaziergängen und ande­ren par­tei­po­li­ti­schen Veranstaltungen ver­bo­ten. Einer mei­ner Archivfunde belegt, dass es ab 1924 span­nungs­rei­cher wur­de. In Wien gab es durch eine Alleinregierung der Sozialdemokrat:innen eine ande­re Identitätspolitik. Dies wur­de auch im öffent­li­chen Raum spür­ba­rer und sicht­ba­rer als in Dessau.

Lass uns über den Körper und sei­ne Wirkung in der cho­ri­schen Arbeit sprechen.

Auf wel­che Weise mach­te man damals poli­tisch davon Gebrauch? Wie sah die „Chorische Bildsprache“ genau aus? Welche Rolle spielt sie in dei­ner Arbeit?

Ich fra­ge mich: Wie kann der Körper im öffent­li­chen Raum für Identitätspolitiken ein­ge­setzt wer­den? Wie kann er gemein­sa­mes Handeln beför­dern? Ziel der Arbeit mit Laien in den 1920er Jahren war es, im Bewegungschor eine Art Gemeinschaft zu leben und zu erle­ben. Die Arbeiter:innenbewegung hat eben erkannt, dass Körper auch poli­tisch ein­ge­setzt wer­den kön­nen. Die aus­ge­präg­te Festkultur und Arbeitersportbewegung der Sozialist:innen ermög­lich­te über den Bewegungschor die­se neue Form der Gemeinschaft zu ver­in­ner­li­chen. 

Das Spannende an Bewegungschören aber auch an Chören gene­rell ist das Gemeinschaftsformierende. Es ist die Gemeinschaft, die in Erscheinung tritt und Wirkung erzeugt und nicht ein ein­zel­nes Individuum. Mein Ziel ist, das „Kraftfeld“, das durch das Chorische erleb­bar wird, sicht­bar zu machen. Es ist nicht zuletzt eine Reaktion auf eine Welt, in der Menschen immer mehr ihre „Indiviualität“ leben wol­len und sich dadurch ver­ein­zeln. Ich möch­te eine Art Gegenbild des gemein­sa­men Handelns und Zusammenhalts erzeu­gen und einen gemein­schaft­lich wir­ken­den, poli­ti­schen Körper vorschlagen.

Welche Orte hast du für “Rhythm is a dancer” aus wel­chem Grund gewählt? Welche kon­kre­ten Verbindungen von Bauhaus und Arbeiter:innenbewegung der 1920er Jahre hast du gefunden?

Ich habe fünf ver­schie­de­ne Orte in Dessau aus­ge­wählt, die ich mit 20 Personen in Szene setz­te, dar­un­ter ist auch das Dach des Prellerhauses am Bauhausgebäude. Die Gesten und Posen ste­hen im Zusammenhang mit der Historie des jewei­li­gen Ortes. Sie haben mit der Arbeiter:innenkultur, Arbeiter:innenbewegung, Arbeiter:innensportbewegung und mit moder­nem Tanz der 1920/1930er Jahre zu tun. Für jeden mei­ner Schauplätze gab es einen ande­ren Ausgangspunkt. Die Choreografie für das Dach des Prellerhauses kreist um „den neu­en Menschen im Rhythmus“.

Auf die­ser berühm­ten Dachterrasse fand der Gymnastikunterricht für die Bauhäuslerinnen statt. Seit der Gründung des Bauhauses in Weimar hat­te die kör­per­li­che Betätigung im Unterricht ja eine wich­ti­ge Rolle gespielt. In Dessau wur­de der Sportunterricht zunächst von Werner Siedhoff, einem Schauspieler und Mitglied der Bauhausbühne von Oskar Schlemmer, abge­hal­ten. 1929 kam dann mit Otto Büttner im Wintersemester ein Sportler des Arbeiter‑, Turn- und Sportbundes an das Bauhaus. Karla Grosch war zwi­schen 1928–1932 als Sport- und Gymnastiklehrerin am Bauhaus Dessau tätig. Sie wur­de als eine der ers­ten Schülerinnen von Gret Palucca aus­ge­bil­det. Palucca wie­der­um unter­rich­te­te damals in den Techniken des Ausdruckstanzes. Neben ihrer Tätigkeit als Sportlehrerin trat Grosch am Bauhaus auch in Oskar Schlemmers „Materialtänzen“ auf. Das sind für mich inter­es­san­te Verbindungslinien und Übergangszonen. Groschs Sportunterricht war also für mich eine wich­ti­ge Quelle der Choreografie auf dem Bauhausdach. Aber auch Posen, die ich im Tanzarchiv Leipzig aus den 1920er Jahren zu Bewegungschören und Laientanz gesich­tet habe, habe ich aufgegriffen.

Als einen wei­te­ren Ort hast du die Laubenganghäuser gewählt, die unter Bauhaus Direktor Hannes Meyer errich­tet wor­den sind. Während Gropius die Reihenhaussiedlung mit sei­nem pri­va­ten Büro errich­te­te, sind die Laubenganghäuser in der erst 1927 ein­ge­rich­te­ten Architekturabteilung des Bauhauses kol­lek­tiv pro­jek­tiert und umge­setzt wor­den. Mitgearbeitet haben u.a. Hans Volger, Hubert Hoffmann, Bela Scheffler, Konrad Püschel und Philipp Tolziner. Die städ­te­bau­li­che Konzeption für die Laubenganghäuser in Dessau geht auf den Bauhaus-Lehrer Ludwig Hilberseimer zurück. Hier war ein wesent­li­cher Gedanke bür­ger­li­che und pro­le­ta­ri­sche Mileus zu durch­mi­schen. De fac­to wur­de nur der Teil für die Arbeiter:innen umgesetzt.

Ich fand span­nend, dass bei der Errichtung der Laubenganghäuser Bauhausstudierende mit Arbeiter:innen zusam­men auf der Baustelle gear­bei­tet haben – an den Gebäuden für das Proletariat. Hier kann man die Verbindung von Bauhaus und Arbeiter:innenbewegung am offen­sicht­lichs­ten wahr­neh­men. Die Aufnahmen für mein Projekt neh­men ent­spre­chend von den Gesten des Bauens ihren Ausgangspunkt, wie etwa Ziegelsteine wei­ter­ge­ben, auf­ein­an­der­schich­ten, Mörtel anrüh­ren. Das gemein­schaft­li­che Arbeiten und Zusammenspiel wird durch eine Art Menschenkette dargestellt.

Beim Konsumverein in Törten habe ich wie­der­um auf Gemeinschaftsgesten fokus­siert. Das 1928 nach einem Entwurf von Walter Gropius ent­stan­de­ne Konsumgebäude wur­de durch sei­ne Funktion und Lage zu einem Zentrum der Törtener Siedlung. Neben der Versorgung mit preis­wer­ten Nahrungsmitteln gab es ein Café, das zum sozia­len Treffpunkt der Siedlung wur­de. Es war sozu­sa­gen von vor­ne­her­ein ein Ort der Gemeinschaft. 

Es ist ein Gebäude mit Mischnutzung, also Handel und Wohnen. Neben dem Flachbau mit Laden und Café wur­den über den Personalräumen noch drei Dreizimmerwohnungen unter­ge­bracht. Im Dachgeschoss des Hochbaus befan­den sich Gemeinschaftseinrichtungen wie Waschküche, Trockenraum und Dachterrasse. Im gesam­ten Gebäude spie­gelt sich der Geist des Gemeinschaftlichen. 

Im Grunde genom­men haben ja alle von dir gewähl­ten Orte eine Verbindung zum Bauhaus – mal ist die­se bekann­ter, mal weni­ger wie beim Tivoli oder bei der Druckerei des Volksblatts, einer sozi­al­de­mo­kra­ti­schen Tageszeitung in der Askanischen Straße. Was hast du hier her­aus­ge­fun­den? Die Verbindung zum Tivoli etwa war mir neu.

Auf dem Areal rund um das” Tivoli” stand einst das ehe­ma­li­ge Volkshaus, das von den Sozialdemokrat:innen betrie­ben wur­de. Die Volkshaus-Bewegung der Sozialdemokratie hat übri­gens auch moder­ne Architekt:innen, die nach dem Krieg auf der Suche nach neu­en Gemeinschaftsaufgaben waren, beein­flusst. Das Volkshaus war jeden­falls ein iden­ti­täts­stif­ten­der Ort für die Arbeiter:innenbewegung, und so wur­de das Tivoli in Dessau auch schnell zum kul­tu­rel­len und poli­ti­schen Zentrum der Sozialdemokratie. Etwa zehn Arbeiter:innenvereine hat­ten im Volkshaus ihr Domizil. Wichtig für die Verbindung zum Bauhaus war, das dort Veranstaltungen der orga­ni­sier­ten Siedlerbewegung statt­fan­den. 1923 wur­de im Volkshaus der Anhaltische Siedlerverband gegrün­det. Auch die gro­ßen Auseinandersetzungen um die Gropiussiedlung in Törten, bei denen sich mehr als 1000 Siedler:innen ver­sam­meln, fan­den 1928 im Volkshaus Tivoli statt. 1933 über­nah­men NS-Organisationen das Haus, im März 1945 wur­de es zer­stört. Bei die­sem Schauplatz fokus­sie­re ich auf Kampfgesten, Zeigegesten, Abstimmgesten und Gemeinschaftsgesten.

Bei der Arbeiter:innendruckerei sind es Gesten, die mit dem Drucken zu tun haben. Hier fokus­sie­re ich auf Gesten der Vervielfältigung bzw. der Verteilung, des Sortierens. Aber auch Kampfposen kom­men zum Einsatz. Die Verbindung zum Bauhaus ist eine mehr­fa­che: Beim Wettbewerb um den Neubau der Arbeiter:innendruckerei spricht die Jury Carl Fieger den ers­ten Preis zu, jenem Carl Fieger, der unter ande­rem auch für Walter Gropius und das Bauhaus tätig war. Darüber hin­aus gibt es eine Verbindung zur Reklameabteilung am Bauhaus. Viele stu­dier­ten Gestaltung, da sie ler­nen woll­ten, wie man über gra­fi­sche Mittel Widerstand gegen Faschisten leis­ten kann. Das Gestalten, Drucken und Vervielfältigen eine spiel­te also eine maß­geb­li­che Rolle.

Das Volksblatt für Anhalt war bis zur Machtübernahme der NSDAP 1933 eine sozi­al­de­mo­kra­ti­sche Tageszeitung. Am 13.März 1933 drang die SA in das Gebäude ein, ver­wüs­te­te und besetz­te es. Das Volksblatt und die Arbeiter:innendruckerei wur­den Sitz der NSDAP-Partei. Ein trau­ri­ges Kapitel ist die Ausstellung „Entartete Kunst“ an die­sem Ort. Sie führ­te Bilder von Lyonel Feininger, Paul Klee, Wassily Kandinsky, Emil Nolde und Alexej von Jawlenky vor. Die ers­ten drei waren am Bauhaus tätig.

Das Repertoire der von dir ein­ge­setz­ten Posen und Gesten ist beacht­lich. Ein wich­ti­ger Aspekt ist, dass dei­ne Arbeiten his­to­ri­sche und zeit­ge­nös­si­sche Posen und Gesten ver­bin­den. Kannst du mehr über die Bandbreite dei­ner Quellen sagen?

Den Posen und Gesten geht eine län­ge­re Recherche vor­aus, die ich im Zuge des Projektes gemacht habe. Eine für mich wich­ti­ge Pose (“Nie wie­der Krieg”) habe ich einer Zeichnung von Käthe Kollwitz aus dem Jahr 1924 ent­nom­men. Am 10. Jahrestag des Beginns des Ersten Weltkriegs fan­den in ganz Deutschland Massendemonstrationen statt, zu denen Kollwitz ein Antikriegsplakat für die Sozialistische Arbeiterjugend in Leipzig schuf. Die dar­ge­stell­te Geste – Zeige- und Mittelfinger nach oben gestreckt mit ange­leg­ten Daumen am Zeigefinger – wur­de von mir in mei­ne Choreografien ein­ge­baut. Weitere bekann­te, von mir ver­wen­de­te Gesten sind z.B. das Victory Zeichen, das in unter­schied­li­chen Variationen bei den anhal­ten­den Iran Protesten seit September 2022 auf Social Media viral gegan­gen ist. Darüber hin­aus habe ich Protestbilder aus China wäh­rend der Corona-Pandemie ver­wen­det sowie Gesten von Lützerath-Protestierenden sowie Klimakleber:innen der  “Letzten Generation” eingearbeitet.

Auch im Tanzarchiv Leipzig bin ich fün­dig gewor­den. Dort habe ich mir Fotografien der Laien-Tanzbewegung von Rudolf Laban der 1920er Jahren ange­se­hen. Auch die­se Posen und Gesten haben Einzug in mei­ne Fotografien und die Performance gefun­den. Einige kom­men aus Massenmedien. Daran sieht man gut, wie mäch­tig Fotografien in Hinblick auf Verbreitung von Botschaften sind. Hierzu ist zu erwäh­nen, wie schnell heu­te Posen und Gesten, die über das Medium Film und Social Media ver­brei­tet wer­den, plötz­lich auf der Straße lan­den. Die Geste des Drei-Finger-Grußes aus der Filmreihe “Die Tribute von Panem” – eine Geste des Widerstands einer unter­drück­ten Gesellschaft – tauch­te in der Vergangenheit bei Protesten in Myanmar und Thailand auf der Straße auf. D.h. Menschen eig­nen sich ein Verhalten an, dass sie vor­her über Social Media oder in Spielfilmen bzw. Filmserien wahr­ge­nom­men haben. Gesten und Bildpraktiken wer­den in Windeseile repro­du­ziert, das sieht man auch gut an den Protesten im Iran. Hier waren Einblicke in das „Frau. Leben. Freiheit — Archiv der flüch­ti­gen Protestformen“ der Künstlerin und Performerin Negin Rezaie wich­tig für mich.

Die Faust als Geste der Arbeiter:innenbewegung wird von dir eben­falls häu­fig ein­setzt. Dieser kämp­fe­ri­sche Gestus lebt bis heu­te in vie­len Protesten fort, hat sich aber auch selbst modi­fi­ziert. Mit sol­chen Transformationen arbei­test du ja eben­falls gezielt.

Diese Geste taucht gegen­wär­tig bei ver­schie­de­nen Gruppierungen auf. In ange­win­kel­ter Form bei der Black Lives Matter-Bewegung, in Form zwei­er erho­be­ner Fäuste bei den Massenprotesten in Sri Lanka 2022, aus­ge­löst durch hohe Preissteigerungen, Inflation und die Verschlechterung von Arbeitsbedingungen. In aus­ge­streck­ter Form fin­det die­se Geste auch bei den erwähn­ten, seit 2022 andau­ern­den femi­nis­ti­schen Protesten im Iran Verwendung. 

Bevor die Faust ab 1924 als per­for­ma­ti­ves Symbol auf Demonstrationen und in Bewegungschören ein­ge­setz­te wur­de, waren ver­schränk­te Hände das domi­nie­ren­de Symbol der Arbeiter:Innenbewegung. Auch die­se Geste habe ich in den Fotografien und in der Performance ein­ge­setzt. Im Rahmen mei­ner Recherchen bin ich auch auf ein Bild der Tänzerin Jo Mihaly aus den Jahr 1926 gesto­ßen. Sie stellt im Studio eine Geste aus dem Stück „Der Arbeiter“ nach, wo sie bei­de Hände zu Fäusten ballt und damit eine Kampfsituation suggeriert.

Auffällig oft ist das Dach Schauplatz dei­ner Choreografien. Es taucht immer wie­der in “Rhythm is a dancer” auf. Neben dem Prellerhaus wird eine gol­de­ne Flagge vom Dach des Bauhaus Museums her­un­ter­ge­hängt. Warum ist das Dach so wich­tig für dich?

Wenn man Fotografien aus der Sammlung Bauhaus Stiftung genau­er betrach­tet, fällt auf, dass sich die Bauhäusler:innen immer wie­der ger­ne auf Dächern oder wei­ter oben in Gebäuden auf­ge­hal­ten haben und ablich­ten lie­ßen. Dies hat aus mei­ner Sicht meh­re­re Gründe: das Dach ist ein Ort gestei­ger­ter Sichtbarkeit und gilt als Ort der Freiheit. Weiters ermög­licht eine Position auf dem Dach eine spe­zi­fi­sche Wahrnehmung und beson­de­re Perspektive von oben. In Zusammenhang mit Protesten wur­de es immer wie­der zu einem Ort des Widerstands, aber auch der Flucht. Es ist eben­falls ein Ort der Macht. Man beden­ke, dass Konzernzentralen in der Regel in den obe­ren Etagen zu fin­den sind, und dass in Dachgeschosswohnungen meist nur Menschen leben kön­nen, die über Macht und Geld ver­fü­gen. “Oben zu sein” hat also Bedeutung.

Erzähle uns mehr über den Projektablauf. Wie bist du vor­ge­gan­gen? Wie hat sich das Projekt entwickelt?

Als aller­ers­tes habe ich Kontakt zum Landes- und Stadtarchiv gesucht um etwas über die Stadt Dessau und die Region zur Zeit der Weimarer Republik her­aus­zu­fin­den. Weiters konn­te ich auf die wis­sen­schaft­li­che Begleitung durch zwei wis­sen­schaft­li­che Mitarbeiter:innen des Bauhauses zurück­grei­fen, auf Torsten Blume und Elisabeth Kremer. Sie haben mich sehr unter­stützt. Erwähntes Tanzarchiv in Leipzig war eben­so wich­tig, weil es über eine bedeu­ten­de Fotosammlung und über Aufzeichnungen der Laientanzbewegung ver­fügt. Diese Funde hal­fen mir für die Findung der Posen und Gesten. Ich selbst habe noch Kontakt zu ver­schie­de­nen Tanzwissenschaftler:innen auf­ge­nom­men um mehr Material über die Verbindung von Arbeiterkultur‑, Sportbewegung und Modernem Tanz zu finden.

Für mich ist ein wich­ti­ger Aspekt dei­ner Arbeit für Dessau, dass wir als Institution Menschen aus dem Umfeld des Bauhaus Museums, die bis­lang kei­ne Berührung mit uns hat­ten, ken­nen­ge­lernt und sie umge­kehrt etwas über uns und das Bauhaus Dessau erfah­ren haben. Es war ein schö­ner Moment als die Beteiligten unse­rer Einladung ins Meisterhaus Schlemmer gefolgt sind um gemein­sam das Projekt zu fei­ern. Man konn­te auch den Stolz nach der ers­ten Aufführung vor, im und hin­ter dem Bauhaus Museum füh­len – mit einem voll­ends begeis­ter­ten Publikum.

Ich woll­te mit Vereinen in Dessau zusam­men­zu­ar­bei­ten, mit Menschen, die mit der Stadt ver­bun­den und in Dessau ansäs­sig sind. Hierbei war mir wich­tig, dass unter­schied­li­che Bevölkerungsgruppen sicht­bar wer­den. Ein Kooperationspartner war das Bewegungskombinat unter der Leitung von Melanie Stittrich. Ihre Expertise hin­sicht­lich Streetdance, Hip Hop – alles Musik- und Tanzbewegungen, die ihren Ursprung auf der Straße haben und durch­aus auch in Verbindung mit Widerstandsgesten zu sehen sind – war für das Projekt berei­chernd. Mit dem Multikulturellen Zentrum Dessau kam ein wei­te­rer Verein dazu. Sirene Saïd, die sich vor allem um die Frauengruppe im Multikulturellen Zentrum küm­mert, hat durch ihre Expertise und Menschenkenntnis eine tol­le Gruppe an Leuten zusam­men­ge­stellt – mit vor­wie­gend jün­ge­ren Menschen aus unter­schied­li­chen Ländern wie z.B. dem Iran, Syrien, dem Irak. Eine wesent­li­che Motivation für mei­ne Arbeit lag auf der Sichtbarmachung von ver­schie­de­nen kul­tu­rel­len Identitäten, die im öffent­li­chen Raum durch­aus wahr­nehm­bar sind, aber auf musea­ler oder insti­tu­tio­nel­ler Ebene wenig bis kei­ne Aufmerksamkeit fin­den. Es war mir ein Anliegen Menschen zusam­men­zu­brin­gen. Im Vordergrund bei der Auswahl der Mitwirkenden stand nicht die Tanz- und Bewegungserfahrung son­dern die Lust sich auf etwas Neues einzulassen.

Wie sieht das Verhältnis von Bewegungsprofis und Laien bei „Rythym is a dancer“ aus?

Manche aus der Gruppe hat­ten Tanzerfahrung, ande­re nicht. Manche waren mit moder­nem Tanz noch gar nicht in Berührung gekom­men. Aber durch die Offenheit des gesam­ten Teams und vor allem durch das Gemeinschaftsgefühl, das sich im Laufe des Projektes inner­halb der Gruppe ent­wi­ckelt hat, haben wir Großes geschaf­fen. Ganz im Sinne der Laientanzbewegung und Arbeiter:innenturnbewegung der 1920er Jahre!

Kommen wir zur metho­di­schen Herangehensweise. Die Beteiligten haben sehr viel Zeit in das Projekt inves­tiert, es gab zig Proben. Auch waren die büro­kra­ti­schen Hürden hoch. Welche Voraussetzungen hast du geschaf­fen, damit ein sol­ches Gemeinschaftsgefühl ent­steht, wie soeben von dir erwähnt?

Für die Arbeit an der Performance „Rhythm is a dancer“ bil­de­ten wir zwei Gruppen, die jeweils von den Hauptperformerinnen Wiebke Kämmer und Nora Frohmann ange­lei­tet wur­den. Sie haben die Bewegungsabfolgen mit den Performenden ein­stu­diert. Melanie Stittrich vom Bewegungskombinat fun­gier­te als Tanzdramaturgin. Sie war die erfah­re­ne Kraft, hat­te einen Blick von außen. Wichtig war mir auch mit erfah­re­nen Leuten aus dem Kunstkontext zusam­men­zu­ar­bei­ten, die inter­dis­zi­pli­när den­ken und arbei­ten. Hier kamen Marta Pohlmann-Kryszkiewicz (Fotoassistenz) und Nicolas Rupcich (Kameramann) zum Einsatz. Mit bei­den stu­dier­te ich an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig Kunst. Ich konn­te also auf vor­han­de­ne Kontakte zurückgreifen.

Die büro­kra­ti­schen Hürden waren tat­säch­lich enorm. Die Performenden der Gruppe kamen aus ver­schie­de­nen Ländern, man­che stan­den in meh­re­ren Beschäftigungsverhältnissen. Aufenthaltsstatus, Grad der Arbeitserlaubnis waren eben­so unter­schied­lich, man­che noch nicht voll­jäh­rig. Das hat sehr viel Ressourcen von allen Seiten benö­tigt, also Rechtsberatung und etli­chen Rücksprachen mit diver­sen Verwaltungen in die­sem Bereich. Für ein Kunstprojekt fast nicht stemm­bar. Anspruch war ein Abbild der Gesellschaft in unse­rer Performancegruppe zu kre­ieren. Was das im Detail bedeu­tet, war mir im vorn­her­ein nicht klar. Ich bin jedoch stolz dar­auf, dass wir das Projekt gemein­sam geschafft haben. Für sol­che Projekte braucht es ein­fach mehr Ressourcen um noch nach­hal­ti­ger agie­ren zu kön­nen. Froh bin ich über die zusätz­li­che Unterstützung der Kunststiftung Sachsen-Anhalt, des öster­rei­chi­schen Bundesministeriums Kunst, Kultur, öffent­li­cher Dienst und Sport für und des öster­rei­chi­schen Kulturforums in Berlin. Es ist auch nicht selbst­ver­ständ­lich sich als Förderinstanz auf einen sol­chen Projekttypus einzulassen.

Ein Projekt in die­ser Dimension, in das mehr als 25 Menschen ein­ge­bun­den waren, und recher­che­in­ten­siv war, braucht viel Vorlaufzeit, Planung und eben auch finan­zi­el­le Sicherheit. Es braucht Zeit um Menschen ein Gemeinschaftsgefühl zu ver­mit­teln bzw. ent­ste­hen zu las­sen. Ich bin stolz, dass sich durch das Projekt Menschen in Dessau begeg­net sind, die sich sonst nicht über den Weg gelau­fen wären. Hier sind Erfahrungen, Freundschaften und Verbindungen von unschätz­ba­rem Wert entstanden. 

Worüber wir noch nicht gespro­chen haben: Mit der Tonebene des Performancevideos gehst du für dich neue Wege. Was hören wir? Was war dir wich­tig über das Hörbare zu transportieren?

Zu hören ist „Maschinenmusik“ von Hermann Heyer, ein Klavierstück, ein­ge­spielt unter Anwendung einer Musik KI – also einer künst­li­chen Intelligenz. Mich inter­es­sie­ren in dem Zusammenhang Fragestellungen wie z.B. Wer leis­tet heu­te Arbeit? Wer ist heu­te und in Zukunft die neue Arbeiter:innenschaft? Wie wird sich der Einsatz von KI in Zukunft auf Gesellschaft und Demokratie aus­wir­ken? Für mich ist eine der ent­schei­dens­ten Fragen, ob KIs die Gemeinschaft stär­ken kön­nen, und wenn ja, wie. Oder sind die KIs die neu­en Angstmacher:innen unse­rer Zeit? Hier sehe ich Parallelen zu Fragestellungen in den 1920er Jahren, als man immer mehr Maschinen für die indus­tri­el­le Fertigung ein­set­zen woll­te um dadurch Produkte leist­ba­rer zu machen. Die Handwerker*innen hat­ten damals Angst, dass ihnen dadurch die Arbeit genom­men wird. Heute sind eini­ge Menschen auf­grund der Entwicklungen im Bereich der künst­li­chen Intelligenz ver­un­si­chert. Manche sehen sie aber auch als Chance.

Das ist die eine Ebene in mei­ner Arbeit. Dann gibt es noch den Sprechchor: Im Performancevideo kommt das „Call and Response“-Prinzip zur Anwendung. Das bedeu­tet so viel wie „Ruf und Antwort“. Eine Person sagt etwas, die Gruppe, also der Chor ant­wor­tet. Dieses Prinzip fin­det in der Musik Anwendung aber eben auch bei Protesten auf der Straße. Im Video „Rhythm is a dancer“ spre­chen die Performenden die Sätze „Wir sind die Welt (ein­zel­ne Person/Call). Wir sind Viele“ (Alle/Response). Die Sätze wur­den in den ver­schie­de­nen Sprachen, die in der Gruppe gespro­chen wer­den, erarbeitet.

Lass uns abschlie­ßend über die Präsentation dei­ner Arbeiten spre­chen. Die Wandgestaltung hat etwas von einer Choreografie – was die Anordnung der Fotografien und die Fahnen betrifft. Über die­se haben wir noch gar nicht gespro­chen. Die sieb­be­druck­ten Fahnen zei­gen – abs­tra­hiert – Bewegungs(an)ordnungen. Diese gehen auf Formationen zurück, die bei den his­to­ri­schen Bewegungschören eine wich­ti­ge Rolle spiel­ten. Was ist dir wich­tig über die Installation zu zeigen?

Wie bei den Fotografien und in der Performance geht es auch bei Installation der Werke selbst um Formationen. An der Wand sieht man dann eben­so eine Formation – aus Bildern und Fahnen. Die Flagge spielt in vie­len mei­ner her­vor­ge­hen­den Arbeiten eben­falls eine wich­ti­ge Rolle. Sie wird als Identifikationsymbol ver­wen­det, die ein Zugehörigkeitsgefühl erzeu­gen kann. Bei „Rhythm is a dancer“ war mir wich­tig die besieb­druck­ten Fahnen als eine Art „Handlungsanweisung“ zu nut­zen, indem die­se an der Wand hän­gen und als Anleitung für die nächs­te Formation nutzt. Diese sind wie­der­um in der Ausstellung an der Wand mon­tiert, ähn­lich wie es bei Vereinen des Turnbewegung der 1920er Jahre üblich war. Mein Anspruch ist in der Ausstellung die kon­zep­tio­nel­le Ebene der geord­ne­ten Masse auch über die Hängung der Werke und der Fahnen sicht­bar zu machen. Mich inter­es­siert etwa: Welche Choreografien erge­ben sich über die Bilder, wenn sie neben­ein­an­der hän­gen? Welche Verbindungen ent­ste­hen zwi­schen den Orten, dem Dargestellten? Die graue Wandfarbe spielt eben­falls eine wich­ti­ge Rolle, es ist eine Referenz an die Straße.

Die Ausstellung in Dessau fin­det eine Fortsetzung in Berlin. Wie unter­schei­det sich die Wandgestaltung in Dessau von der Präsentation im Österreichischen Kulturforum in Berlin?

Der größ­te Unterschied liegt schon in der Architektur selbst. Das Bauhaus Museum erwei­tert sich qua­si in den öffent­li­chen Raum und holt die­sen umge­kehrt ins Museum hin­ein. Hier ist die Ausstellung ohne Eintritt zugäng­lich. Die Ausstellungsarchitektur, eine zwei­tei­li­ge groß­for­ma­ti­ge Wandfläche, von ins­ge­samt 20 Meter Länge und 3,58 Meter Höhe, erlaubt es sehr gro­ße Formationen anzu­le­gen. Beim ÖKF ver­fol­ge ich eine ande­re Strategie: Die Raumhöhen sind extrem unter­schied­lich, der Raum teilt sich in ver­schie­de­ne Zonen. Hier muss man die Hängung der Bilder völ­lig anders den­ken. Ich wer­de Bilder, die jeweils einen Ort zei­gen, als Ensemble hän­gen, also klei­ne­re Formationen bil­den. D.h. es gibt vie­le klei­ne Bildcluster anstatt einer gro­ßen Setzung. Der Ausstellungsraum des Österreichischen Kulturforums in Berlin war ja anfangs als Büroraum ange­legt und nicht als Raum für Kunstpräsentationen gedacht.  Die Architektur stammt vom öster­rei­chi­schen Architekten Hans Hollein. Auch ist der Ort nicht ein­fach zugäng­lich, da die­ser im Haus der öster­rei­chi­schen Botschaft unter­ge­bracht ist. Ohne Anmeldung kann man den Ort nicht betreten.