Die Exkursion ist Teil des Projekts Auslaufende Umwelten
Wir möchten dazu einladen, mit uns herauszulaufen, auszulaufen, überzulaufen, abzuschweifen, um gemeinsam die Fixierung auf den Zeigefinger zu verlernen oder die Zeigefinger im Umgang mit „der Natur da draußen“ zu enthierarchisieren und umzuverteilen, die Lernziele abzuschalten. Die Idee der Exkursion als Möglichkeitsraum für das Erfahren und Begreifen auf multiplen Ebenen wollen wir als Ausgangspunkt nehmen, um zusammen Fragen an unsere und in unserer Umwelt zu stellen. Wir haben in zwei verschiedenen Feldern Personen, Filme, Thesen und Herangehensweisen zu neuen Zusammenhängen verknüpft, in denen wir das Potential sehen, mehr über Mensch-Natur‑, Natur-Kultur‑, Nichtmensch-Mensch-Verhältnisse zu erfahren und zu reflektieren.
Dabei wollen wir auch die Form unserer Bewegungen, Aneignungen, Blick- und Begriffsregime mitdenken und verhandeln. Wir teilen unseren Weg mit Künstler:innen, Theoretiker:innen, Umwelthistoriker:innen und Naturkundler:innen, die wir einladen diese Exkursionen mitzugestalten und Impulse in den Feldern zu setzen. Dabei führen uns die Wege von der physischen Welt in die filmische und andersherum.
Untergetauchte Kontinuitäten
Der Begriff des Lebensraums ist der Oberbegriff für verschiedene Arten von Lebensgemeinschaften: Biotope, Biome, Habitate, Biosphären. In Kolonialismus und Nationalsozialismus wurde daraus ein völkischer und rassistischer Anspruch, der auch in konkreter Landschaftsgestaltung Ausdruck fand. Aktuelle ökofaschistische Bewegungen machen deutlich, dass auch Begriffe wie Natur- oder Tierschutz nicht ohne politisches Gewicht und geschichtliche Last zu verwenden sind. Die zyklische Zeit der „Natur“ trifft hier auf die von gewaltsamen Unterbrechungen, von Vergessen und Erinnern gekennzeichnete Zeit der „Geschichte“.
Beginnend an einem Ort der Seidenraupenzucht für die Produktion von Fallschirmseide für die Wehrmacht bewegen wir uns zum Lindenauer Hafenbecken, das seit seinem Konstruktionsbeginn 1933 nie den geplanten Anschluss an den Saale-Elster-Kanal bekam, der es mit der Nordsee verbinden sollte. Nach dem 2. Weltkrieg im Kanal versenkte Munition dringt seit Ende 2020 wieder an die Oberfläche, auch weil bewusst und intensiv nach ihr gesucht wurde. Wir wollen diese Suche nach bewusst und unbewusst versenkten Kontinuitäten auf Konzeptionen und Ideologien von Natur ausdehnen.
Verwundene Fäden/Μπερδεμένες κλωστές, künstlerischer Dokumentarfilm, 40 min, 2020
Noch heute säumen Maulbeerhecken die Gänge des Leipziger Kleingartenvereins. Sie wurden Ende der 1930er Jahre für die NS-Seidenraupenzucht gepflanzt. Auch wurde 1939 ein Lehrfilm über den Seidenbau in Leipzig produziert. Den Spuren im sächsischen Kleingarten und der Bestimmung der Seidenraupen folgend, führt der Film auf die touristische Insel Kreta. Wo selten Flugzeuge geflogen waren, sprangen im Mai 1941 in einer Woche 10.000 Fallschirmjäger über der kargen Insel ab. Kretische Zeitzeuginnen erinnern sich an die Luftlandeschlacht und den Terror der deutschen Besatzung.
Die seidenen Fallschirmstoffe haben sie zerteilt, zugeschnitten und zu Taschentüchern und Kleidern weiterverarbeitet. Die Handarbeitsprozesse sind zeitliche Einheiten, die sich in die Körper eingeschrieben und auch die Erinnerung strukturiert haben. Der künstlerische Dokumentarfilm Verwundene Fäden/Μπερδεμένες κλωστές folgt dem Weg der Seide für Fallschirme – von der NS-Seidenraupenzucht als Propaganda-Programm über die Luftlandeschlacht auf Kreta 1941 bis hin zur dortigen Wiederverwendung der Fallschirme als Taschentücher.
Die Pferde des Rittmeisters, Deutschland, 2015, 10 min, HD, übertragen von 16 mm, Farbe und s/w, Ton, 10 min
16mm-Material aus dem Nachlass des Amateurfilmers Harald von Vietinghoff-Riesch
Die kommentierte, chronologische Montage drängt die Pferde der Wehrmacht und die vor ihr flüchtenden Zivilist:innen in ein Bild des Krieges. Der Film ist Teil des Projekts P.O.V. (Point of View) von Clemens von Wedemeyer, in dem er sich mit dem subjektiven Blick des Kameramanns hinter der Front beschäftigt.
Programmdetails
Treffpunkt: Kleingartenverein Hoffnung West, Vereinshaus
Anmeldung unter office@d21-leipzig.de
14.00 – 15.15 Uhr: Gespräch mit Deborah Jeromin über ihre Arbeit zur NS-Seidenraupenzucht und die Wege deutscher Fallschirmseide auf Kreta (KGV Hoffnung West)
15.30 – 16.15: Uhr Weg zum Lindenauer Hafen
16.30 Uhr: Impuls von Anna-Katharina Wöbse
17.15 – 18.15 Uhr: Pause/Weg zum Kino
21.30/22.00 Uhr: LURU Kino Open-Air
Screening: Deborah Jeromin: Verwundene Fäden (40min)
Screening + Gespräch: Clemens von Wedemeyer: Die Pferde des Rittmeisters (10min)