Sa, 31.7.21

Auslaufende Umwelten: Untergetauchte Kontinuitäten (Exkursion)

Screening

Human Nature

Künstler:innen  Deborah Jeromin & Clemens von Wedemeyer

Zeit  14:00

Kuratiert durch  Nanna Heidenreich & Marcus Held

Die Exkursion ist Teil des Projekts Auslaufende Umwelten

Wir möch­ten dazu ein­la­den, mit uns her­aus­zu­lau­fen, aus­zu­lau­fen, über­zu­lau­fen, abzu­schwei­fen, um gemein­sam die Fixierung auf den Zeigefinger zu ver­ler­nen oder die Zeigefinger im Umgang mit „der Natur da drau­ßen“ zu ent­hier­ar­chi­sie­ren und umzu­ver­tei­len, die Lernziele abzu­schal­ten. Die Idee der Exkursion als Möglichkeitsraum für das Erfahren und Begreifen auf mul­ti­plen Ebenen wol­len wir als Ausgangspunkt neh­men, um zusam­men Fragen an unse­re und in unse­rer Umwelt zu stel­len. Wir haben in zwei ver­schie­de­nen Feldern Personen, Filme, Thesen und Herangehensweisen zu neu­en Zusammenhängen ver­knüpft, in denen wir das Potential sehen, mehr über Mensch-Natur‑, Natur-Kultur‑, Nichtmensch-Mensch-Verhältnisse zu erfah­ren und zu reflektieren.

Dabei wol­len wir auch die Form unse­rer Bewegungen, Aneignungen, Blick- und Begriffsregime mit­den­ken und ver­han­deln. Wir tei­len unse­ren Weg mit Künstler:innen, Theoretiker:innen, Umwelthistoriker:innen und Naturkundler:innen, die wir ein­la­den die­se Exkursionen mit­zu­ge­stal­ten und Impulse in den Feldern zu set­zen. Dabei füh­ren uns die Wege von der phy­si­schen Welt in die fil­mi­sche und andersherum.

Untergetauchte Kontinuitäten

Der Begriff des Lebensraums ist der Oberbegriff für ver­schie­de­ne Arten von Lebensgemeinschaften: Biotope, Biome, Habitate, Biosphären. In Kolonialismus und Nationalsozialismus wur­de dar­aus ein völ­ki­scher und ras­sis­ti­scher Anspruch, der auch in kon­kre­ter Landschaftsgestaltung Ausdruck fand. Aktuelle öko­fa­schis­ti­sche Bewegungen machen deut­lich, dass auch Begriffe wie Natur- oder Tierschutz nicht ohne poli­ti­sches Gewicht und geschicht­li­che Last zu ver­wen­den sind. Die zykli­sche Zeit der „Natur“ trifft hier auf die von gewalt­sa­men Unterbrechungen, von Vergessen und Erinnern gekenn­zeich­ne­te Zeit der „Geschichte“.

Beginnend an einem Ort der Seidenraupenzucht für die Produktion von Fallschirmseide für die Wehrmacht bewe­gen wir uns zum Lindenauer Hafenbecken, das seit sei­nem Konstruktionsbeginn 1933 nie den geplan­ten Anschluss an den Saale-Elster-Kanal bekam, der es mit der Nordsee ver­bin­den soll­te. Nach dem 2. Weltkrieg im Kanal ver­senk­te Munition dringt seit Ende 2020 wie­der an die Oberfläche, auch weil bewusst und inten­siv nach ihr gesucht wur­de. Wir wol­len die­se Suche nach bewusst und unbe­wusst ver­senk­ten Kontinuitäten auf Konzeptionen und Ideologien von Natur ausdehnen.

Verwundene Fäden/Μπερδεμένες κλωστές, künst­le­ri­scher Dokumentarfilm, 40 min, 2020

Noch heu­te säu­men Maulbeerhecken die Gänge des Leipziger Kleingartenvereins. Sie wur­den Ende der 1930er Jahre für die NS-Seidenraupenzucht gepflanzt. Auch wur­de 1939 ein Lehrfilm über den Seidenbau in Leipzig pro­du­ziert. Den Spuren im säch­si­schen Kleingarten und der Bestimmung der Seidenraupen fol­gend, führt der Film auf die tou­ris­ti­sche Insel Kreta. Wo sel­ten Flugzeuge geflo­gen waren, spran­gen im Mai 1941 in einer Woche 10.000 Fallschirmjäger über der kar­gen Insel ab. Kretische Zeitzeuginnen erin­nern sich an die Luftlandeschlacht und den Terror der deut­schen Besatzung.

Die sei­de­nen Fallschirmstoffe haben sie zer­teilt, zuge­schnit­ten und zu Taschentüchern und Kleidern wei­ter­ver­ar­bei­tet. Die Handarbeitsprozesse sind zeit­li­che Einheiten, die sich in die Körper ein­ge­schrie­ben und auch die Erinnerung struk­tu­riert haben. Der künst­le­ri­sche Dokumentarfilm Verwundene Fäden/Μπερδεμένες κλωστές folgt dem Weg der Seide für Fallschirme – von der NS-Seidenraupenzucht als Propaganda-Programm über die Luftlandeschlacht auf Kreta 1941 bis hin zur dor­ti­gen Wiederverwendung der Fallschirme als Taschentücher.

Die Pferde des Rittmeisters, Deutschland, 2015, 10 min, HD, über­tra­gen von 16 mm, Farbe und s/w, Ton, 10 min
16mm-Material aus dem Nachlass des Amateurfilmers Harald von Vietinghoff-Riesch

Die kom­men­tier­te, chro­no­lo­gi­sche Montage drängt die Pferde der Wehrmacht und die vor ihr  flüch­ten­den Zivilist:innen in ein Bild des Krieges. Der Film ist Teil des Projekts P.O.V. (Point of View) von Clemens von Wedemeyer, in dem er sich mit dem sub­jek­ti­ven Blick des Kameramanns hin­ter der Front beschäftigt.

Programmdetails

Treffpunkt: Kleingartenverein Hoffnung West, Vereinshaus
Anmeldung unter office@d21-leipzig.de

14.00 – 15.15 Uhr: Gespräch mit Deborah Jeromin über ihre Arbeit zur NS-Seidenraupenzucht und die Wege deut­scher Fallschirmseide auf Kreta (KGV Hoffnung West)
15.30 – 16.15: Uhr Weg zum Lindenauer Hafen
16.30 Uhr: Impuls von Anna-Katharina Wöbse
17.15 – 18.15 Uhr: Pause/Weg zum Kino
21.30/22.00 Uhr: LURU Kino Open-Air
Screening: Deborah Jeromin: Verwundene Fäden (40min)
Screening + Gespräch: Clemens von Wedemeyer: Die Pferde des Rittmeisters (10min)

 

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