24.11. – 18.12.16

There is no smile in a doll’s face

Ausstellung

Foto: Tilo Schulz – two rags (blo­cking)

Zehn

Eröffnung  24. Nov 2016, 19 Uhr: Lesung mit Tilo Schulz und der Schauspielerin Laetitia Mazzotti (thea­ter sýs­te­ma) und Gespräch mit Leif Magne Tangen

Ausstellungsdauer  24.11. – 18.12.16

Künstler:innen  Tilo Schulz in Kooperation mit Barbara Köhler und Laetitia Mazzotti

Kuratiert durch  Leif Magne Tangen

Anlässlich sei­nes zehn­jäh­ri­gen Jubiläums hat der D21 Kunstraum Leipzig sei­ne ehe­ma­li­gen künst­le­ri­schen Leiter ein­ge­la­den, jeweils eine Ausstellung zu kura­tie­ren. Leif Magne Tangen ist Mitbegründer des D21 und war von 2006 bis 2008 für das Ausstellungsprogramm zustän­dig. Tangen wand­te sich mit sei­ner Anfrage an den Künstler Tilo Schulz. Schulz wird, in sei­ner ers­ten Einzelausstellung in Leipzig seit 2008, zwei neue Werkgruppen zei­gen. Eine davon ist eine Kooperation mit der Autorin Barbara Köhler – der Peter-Huchel-Preisträgerin 2016. Die Ausstellung wer­den zwei Veranstaltungen beglei­ten, deren Fokus auf Sprache, Performanz und Text liegt.

Arealität ist ein ver­al­te­tes Wort, das das Wesen oder die Eigenschaft eines Areals (area) bezeich­net. Zufällig eig­net sich das Wort auch dazu, ein Fehlen, einen Mangel an Realität oder eine win­zig klei­ne, leich­te, schwe­ben­de Realität zu unter­stel­len: die­je­ni­ge des Abstands […]. (Jean-Luc Nancy)

Die Gründung des Kunstraumes D21 im Jahr 2006 ent­stand als Reaktion auf die Erkenntnis der zukünf­ti­gen Betreiber_innen, dass es in Leipzig, trotz eini­ger bestehen­der Initiativen, die dem Ausstellen zeit­ge­nös­si­scher Kunst einen Rahmen boten, an etwas Bestimmtem fehl­te. Das D21 woll­te ein Kunstraum sein, in dem ein krea­ti­ver Prozess statt­fin­den konn­te. Der Philosoph Arne Næss sag­te ein­mal, dass Denken schmer­ze, wes­we­gen es ein­fa­cher und ange­neh­mer sei, dies gar nicht erst zu tun. Im Vokabular der zeit­ge­nös­si­schen Kunst wür­den wir dazu „Kritisches Denken“ sagen. Für das D21 war es wich­tig, Künstler_innen und Kurator_innen die Möglichkeit zu geben, ihre Ideen und Konzepte zu ent­wi­ckeln. Die meis­ten mei­ner eige­nen kura­to­ri­schen „Werkzeuge“ konn­te auch ich wäh­rend die­ser Zeit im D21 eta­blie­ren und dort auch zum ers­ten Mal ausprobieren.

Ich kann nicht sagen, was das D21 heu­te ist. Die Vergangenheit ist kon­ser­viert in Erinnerungen, in Texten, Fotos und Videoaufnahmen. Und von dem, was mor­gen kommt, sind vor­erst nur die Konturen zu erken­nen. Seit nun­mehr zehn Jahren kann sich das D21 als unab­hän­gi­ger, ehren­amt­lich betrie­be­ner Kunstverein behaup­ten, der von Künstler_innen, Kurator_innen, Architekt_innen und ande­ren gegrün­det wur­de, und in deren Geist er bis heu­te fort­ge­führt wird. Die meis­ten unab­hän­gi­gen Kunsträume in Leipzig sind mit der Zeit ver­schwun­den, oder sie haben sich so sehr ver­än­dert, dass sie heu­te nicht mehr als das zu erken­nen sind, was sie ein­mal waren.

Tilo Schulz ist Künstler, Autor und Kurator. Er ist zudem auch Vermittler, weil der Betrachter immer zen­tra­ler Teil sei­ner Arbeiten ist. Manchmal sind sei­ne Projekte kura­to­risch, wie z.B. die Ausstellung „squat­ting. erin­nern, ver­ges­sen, beset­zen“, die Schulz in Kooperation mit Jörg van der Berg in der Temporären Kunsthalle Berlin im Jahr 2010 kura­tier­te, wo er einen star­ken Fokus auf den Bewegungsraum der Besucher_innen, sowie die Art und Weise, die Ausstellung zu ver­ste­hen und zu lesen, leg­te. Im Ausstellungstext hieß es dazu: „squat­ting gestal­tet einen spe­zi­fi­schen Ort, der dem Besucher ein bild­li­ches Vokabular zur akti­ven Weiterarbeit anbietet.”

Auch bei sei­ner Beschäftigung mit Zwischenräumen, Grenzen und Zonen steht der Betrachter im Vordergrund. Ein Beispiel dafür stellt sei­ne für die Medienbiennale 1994 erschaf­fe­ne Arbeit „ohne Titel (Kreidezeichnung)”, die unter ande­rem aus gro­ßen, vier­ecki­gen Kreidezeichnungen mit Darstellungen von Plattenbauten in der Nähe Leipzigs bestand. Die Fotodokumentation aus der Vogelperspektive deu­tet an, dass der idea­le Betrachter vom tat­säch­li­chen media­len Betrachter zu unter­schei­den war, da von Letzterem zwar Kreidestriche auf der Wiese aus­zu­ma­chen waren, die Arbeit in ihrer Gesamtheit jedoch nur schwer erschlos­sen wer­den konnte.

Die ers­ten Ausstellungen in den Räumlichkeiten des D21 waren Einzelausstellungen, erst spä­ter folg­ten the­ma­ti­sche Gruppenausstellungen. Alle drei im Sommer und Herbst 2006 ver­an­stal­te­ten Einzelausstellungen (Lotte Lindner & Till Steinbrenner, Reto Pulfer, Isabelle Cornaro) setz­ten sich mit Themen der Sprache und des Raumes aus­ein­an­der. Mit der Einladung von Tilo Schulz für die aktu­el­le Ausstellung wird die­se Reihe nun, mit zehn Jahren Abstand, fortgesetzt.

In einem Gespräch mit der Kunsthistorikerin Dorothea von Hantelmann im Münchner Haus der Kunst erwähn­te Schulz 2014, dass er seit über zwan­zig Jahren Literatur schrei­be. Nur weni­ge die­ser Texte (lyri­sche Arbeiten, Prosa, sze­ni­sche Stücke) sei­en in Publikationen ver­öf­fent­licht wor­den, da sie in der Regel im Rahmen kon­kre­ter instal­la­ti­ver und skulp­tu­ra­ler Arbeiten ent­stan­den sei­en. So kön­nen als Beispiele ange­führt wer­den: ein lyri­scher Text, der für eine Stadtraumarbeit, die im Rahmen der Biennale Manifesta 2 in Luxembourg 1998 ent­stand (auf der Manifesta2-Webseite zu sehen sowie im Onlinekatalog), die Skulptur „City fear | ori­ga­mi ver­si­on (modu­le 1–4)”, die in Zusammenarbeit mit der Autorin Sybille Berg 2005 ent­wi­ckelt wur­de, oder die Installation „Schritt, zwi­schen”, die 2014 im Haus der Kunst in München aus­ge­stellt war, und für die ein spe­zi­ell dafür geschrie­be­ner lyri­scher Text im Studio ein­ge­spro­chen wor­den ist.

Anfang 2001 gab es end­lich einen Kunstbuchladen in Oslo. Die Oslo Kunsthall (die nur von 2000 bis 2002 exis­tier­te und nicht mit der heu­ti­gen Kunsthall Oslo zu ver­wech­seln ist) hat­te Barbara Wien aus Berlin ein­ge­la­den, um einen tem­po­rä­ren Buchladen zu eröff­nen. Dort gab es unter ande­rem die Erstausgabe von Spector Cut + Paste, einer groß­ar­ti­gen Zeitschrift aus Leipzig, in der ein Text von Tilo Schulz abge­druckt war, der mich sehr beein­druckt hat. Ich hat­te noch nie von Tilo Schulz gehört und wuss­te nicht, ob er Künstler, Kurator, Autor, Akademiker oder etwas ande­res ist. Auch wuss­te ich zu die­sem Zeitpunkt noch nicht, dass ich 18 Monaten spä­ter nach Leipzig umzie­hen würde.

„BLÄTTERN“ (von Tilo Schulz und Barbara Köhler, 2016) ist eine mehr­tei­li­ge skulp­tu­ra­le Installation, die aus vier Blättern besteht. Doch die Blätter der Installation ent­spre­chen in ihrer Erscheinung nicht der leich­ten, dün­nen Textur, die der Titel impli­ziert. Stattdessen sind sie etwa so groß wie eine erwach­se­ne Person und von ihrem Volumen her eher als Platten zu bezeich­nen. Trotzdem sind die Blätter fra­gil, wie sie im Raum ste­hen, an den Wänden leh­nen oder auf dem Fußboden lie­gen, ohne die­sen so rich­tig zu berüh­ren. In ihrer Anordnung wir­ken sie ergrei­fend: ver­streut und unbe­hol­fen. Die vier Blätter sind auf der Vorderseite weiß und an den Seiten kann man sehen, wie die wei­ße Farbe eine ande­re Farbe (Rot, Gelb, Schwarz, Blau) teil­wei­se über­deckt. Die Spuren der Farbe zei­gen an, wie die Blätter lagen, als sie mit die­ser über­gos­sen wur­den. Auf die­se Weise hat sich die Schwerkraft, die den Vorgang regu­lier­te, in die Arbeit ein­ge­schrie­ben. Auf den Vorderflächen sind kur­ze Texte ein­ge­fräst, die frag­men­ta­risch und andeu­tend blei­ben. Manche enden mit einem Semikolon. Ob es sich dabei um einen Text han­delt, der sich über die vier Blätter ver­teilt, bleibt offen. Die nicht-gebun­de­ne Form des Textes und die Platzierung der Blätter im Raum, lässt den Leser_innen die Möglichkeit, durch die Bewegung im Raum indi­vi­du­ell den Text zusam­men­zu­set­zen und zu deuten.
In der Ausstellung im D21 wird außer­dem zum ers­ten Mal die neue Skulpturengruppe „rags“ gezeigt. Dabei han­delt es sind um in gefärb­ten Beton getauch­te Stoffe, die beim Trocknen den Faltenwurf des Aufhängens bei­be­hal­ten. Somit spielt auch hier die Schwerkraft, gewis­ser­ma­ßen als unkon­trol­lier­ba­rer Faktor, eine Rolle. Die „rags“ hän­gen ein­zeln vor der Wand oder auf Ständern, wodurch sie den Bewegungsraum der Besucher_innen beein­flus­sen und raum­de­fi­nie­rend wir­ken. Laut Schulz greift die Arbeitsgruppe „rags“ auf unter­schied­li­che Assoziationen zurück: vom Faltenwurf der Renaissance-Malerei eines Giovanni Bellini, über die Museumspräsentation eines geist­li­chen Gewandes, bis hin zu ein­fa­chen Wischlappen, denen die ver­gan­ge­ne Handlung noch ein­ge­schrie­ben ist.

Zu dem Zeitpunkt, als das D21 gegrün­det wur­de, war die Malerei unter den in Leipzig prä­sen­tier­ten Kunstgattungen über­pro­por­tio­nal ver­tre­ten. Gefühlt gab es so weni­ge Ausstellungen mit ande­ren Medien, dass die Meinung zum Medium der Malerei dabei war, sich selbst aus­zu­ra­die­ren. Es schien, als gäbe es über die­se nichts mehr zu sagen; ein ande­rer Diskurs war not­wen­dig. Mit dem D21 soll­te also ein male­reifrei­er Raum ent­ste­hen. In der ers­ten Einzelausstellung wur­de dies the­ma­ti­siert: Das Künstlerduo Lindner & Steinbrenner hat ihre aller­ers­te Malerei für die Ausstellung gemacht. Inzwischen ist mir deut­lich bewusst, dass die­se Verdrängung der Malerei, die Verdrängung des gesam­ten künst­le­ri­schen Mediums, auf einer fal­schen Wahrnehmung beruht. Der Annahme näm­lich, dass Malerei nur als Malerei dis­ku­tiert wer­den kön­ne, weil die seman­ti­sche Tiefe der male­ri­schen Formulierung nur durch das Medium selbst mög­lich sei. Stattdessen muss es jedoch auch mög­lich sein, dass in der Gattung der Malerei, genau wie in allen ande­ren Medien, Situationen und Möglichkeiten dis­ku­tiert wer­den können.

Beide Arbeiten („BLÄTTERN“, „rags“) grei­fen Fragen der Malerei und ein­fa­che Handlungen im Produktionsprozess auf: das mehr­fa­che Übergießen der Texttafeln mit Farbe sowie das Tünchen der Textilien. Schulz knüpft hier an sei­ne Malereiinszenierung „Moments befo­re the solu­ti­on (the world isn’t rea­dy yet) ver­si­on II“ und „pipes“ aus sei­ner Ausstellung „Orbit” von 2014 im Kunstverein Hannover an, sowie an die Installation „Schritt, zwi­schen” aus dem­sel­ben Jahr im Haus der Kunst in München, und kon­zen­triert sie in den jeweils neu­en Skulpturengruppen.

Der Titel der Ausstellung ist in eng­li­scher Sprache: „There is no smi­le in a dol­l’s face“. Dieser Titel hat meh­re­ren Konnotationen; vom Theater und Film bis hin zum aka­de­mi­schen Bereich, wie Psychologie und Soziologie. Es han­delt sich dabei weder um ein sicht­ba­res Zitat, noch um eine Hommage an ande­re Werke.
Eine Puppe zeigt kei­ne Emotionen und sie lächelt nicht, da ihr auf­ge­mal­tes Puppenlächeln etwas rein Formales ist. Trotzdem kann ein Puppengesicht im Betrachter emo­tio­na­le Regungen her­vor­ru­fen, wenn die­ser die dort ange­deu­te­ten Emotionen empha­tisch erkennt.

Doch das ist nicht, was der Titel sagt. Er sagt nur, dass es im Gesicht einer Puppe kein Lächeln gibt.

Zehn

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