Was ist der Unterschied zwischen einem Stoppschild und einer Tempohemmschwelle? Die Ausstellung CODEX befragt die Stabilität und Sprache von Recht und seinen Verträgen. Wie wird Recht praktiziert – ausgelegt, gesprochen, verhandelt, geltend gemacht und wechselseitig legitimiert? In welches Verhältnis setzen wir uns – und in welchem Verhältnis stehen wir – zu den Formen seiner Manifestation, Festschreibung, Materialisierung und Institutionalisierung? Durch die Überlagerung virtueller und physischer (Rechts-)Räume, durch fortschreitende wirtschaftliche Verflechtungen und Globalisierungsprozesse werden auch die Institutionen des Rechts, Formen der Legitimation und Gerichtsbarkeiten verschoben. Was bedeutet es, wenn das Rechtssubjekt durch Quasi-Objekte, Algorithmen und neue technologische Entwicklungen ersetzt wird? Welche Auswirkungen hat das auf unser Verständnis von Handlungs- und Rechtsfähigkeit?
Amalia Pica adressiert das grundlegende (und oft ignorierte) Recht und/oder Potenzial, die eigene Stimme zu erheben. In „Constructed View“ treten Standpunkt, Perspektive und Horizont mit sprachlichem und visuellem Ausdruck in Beziehung. „The Jokinen Trial“ von Laura Horelli führt die Akteur_innen eines 1931 in Harlem, New York, abgehaltenen Schauprozess der Kommunistischen Partei Amerikas gegen Rassismus, in einer fotografischen Installation zusammen. Die Erzählstimme der Künstlerin lässt die Migrationsgeschichte des Angeklagten August Jokinen wiederaufleben. Gemeinsam mit der britischen Schriftstellerin und Philosophin Nina Power dekonstruieren Libia Castro und Ólafur Ólafsson die „Universal Declaration of Human Rights“. Anhand einer „Philosophie des Unrechts“ ersetzen sie die „unverbindlichen Empfehlungen“ der United Nations durch ihre Partial Declaration of Human Wrongs. Im Januar 1985 verbot die Generaldirektion der türkischen Rundfunk- und Fernsehanstalt (TRT) kurzzeitig die Verwendung von 205 Wörtern im Fernsehen und Radiosendungen. Die Installation „191/205“ besteht aus 191 dieser verbotenen Wörter aus TRT-Archiven und Zeitungen, die Aslı Çavuşoğlu vom deutsch-türkischen Rapper MC Fuat interpretieren lässt.
Helen Knowles verweist auf ethische und rechtliche Verantwortlichkeiten in Zeiten, in denen Rechtssubjekte durch Quasi-Objekte, Algorithmen und automatisierte Prozesse ersetzt werden. „The Trial of Superdepthunterbot“ inszeniert einen Prozess, in dem die Frage verhandelt wird, ob ein Algorithmus schuldfähig ist und damit als rechtsfähiges Subjekt anerkannt werden soll. Als Hybrid zwischen architektonischer Setzung, amorpher Struktur und Bedeutungsträger / Projektionsfläche eröffnen und besetzen die Skulpturen „Tschumi Alumni“ von Maruša Sagadin Räume der Architektur und der Verhandlung. Die Lichtinstallation „All is Text“ von Stefan Endewardt nimmt Bezug auf Kodifizierungen und (Un)sichtbarkeiten des urbanen Lebensraums. Im Licht und Schatten dieser architektonischen Intervention steht seine Arbeit Architects’ Data – eine neu codierte Version der Bauentwurfslehre Ernst Neuferts aus dem Jahr 1936. „Artistic License“ von Carey Young fordert die Besucher_innen beim Betreten der Ausstellung auf, ihre Fingerabdrücke abzugeben und eine Unterschrift zu leisten. In der Durchdringung ästhetischer und gesellschaftspolitischer Räume werden nationalstaatliche und sozial-symbolischen Grenzen befragt und die Gültigkeit von Verträgen im künstlerischer Kontext und darüber hinaus, verhandelt. Im Workshop von Elli Kuruş wird die Entkopplung des Rechts von traditionellen Legitmationsorganen am Beispiel der Technologie der Blockchain thematisiert, die Verträge herstellt und peer-to-peer beglaubigt, ohne staatliche Institutionen zu benötigen.