Der Aufstieg nationalistischer Strömungen, der Brexit, Trumps Executive Orders, das Referendum zur Verfassungsänderung in der Türkei – zurzeit veschieben sich soziale Übereinkünfte und Rechte. Recht reflektiert unsere Vorstellung von Gesellschaft, unsere Werte. Doch es beruht auf Pfeilern, die durch die Globalisierung und Digitalisierung zunehmend instabiler wirken: auf Territorium, fester Identität und Eigentum.
Der Krise unseres Rechts – das kaum Antworten hat auf die Kräfte der globalen digitalen Ökonomie – mit einer Rückkehr zum Nationalstaat mit geschlossenen Grenzen zu begegnen, löst die Widersprüche nicht auf. Die Welt wird mehr und mehr von globalen Akteuren bestimmt – wie supranationalen Organisationen und NGOs. Und zudem durch technische Normen und Standards, die in Expertengremien entschieden werden.
Das Programm des D21 Kunstraum sucht 2017 in einer Reihe von Ausstellungen und Veranstaltungen nach neuen Formen und Praxen von Recht. Damit wollen wir eine Auseinandersetzung anregen wo und durch wen heute Recht geschaffen und durchgesetzt wird, und wie Gesetze materiell werden.
In den letzten Jahren hat, unter anderem von dem Theorien Bruno Latours und Donna Haraways beeinflusst, in der Kunst eine intensive Auseinandersetzung mit einem Denken stattgefunden, das sich von der Unterscheidung in Subjekt und Objekt verabschiedet. Diese Unterscheidung ist für unser bisheriges Konzept von Recht substanziell. Das Rechtssubjekt, im 19. Jahrhundert explizit als weiß und männlich definiert, beruht auf Ausschluss, auf der Delegitimierung von anderen Stimmen. Der Subjektstatus hat sich durch gesellschaftliche Kämpfe ausgedehnt auf Frauen, „Minoritäten“ und in einigen Ländern inzwischen auch auf Flüsse oder die Natur an sich. Doch nach wie vor schließt er eine Vielzahl von menschlichen und nichtmenschlichen Akteuren aus.
„Über euer scheiß Mittelmeer käm’ ich, wenn ich ein Turnschuh wär’, oder als Flachbildscheiß – ich hätte wenigstens einen Preis.“
Denn während, wie Schorch Kamerun singt, Turnschuhe problemlos über das Mittelmeer kommen, ist die Migration für Menschen meist mit einem massiven Verlust von Rechten verbunden.
Technologische Entwicklungen, wie momentan die Blockchain, versprechen Recht, das nicht auf der Logik von Territorium beruht. Blockchains sind Peer-to-Peer Beglaubigungs- und Vertragsverhältnisse, mittels sogenannter „smart contracts“. Ein „Netzwerkrecht“, das potentiell jedem Akteur die Möglichkeit zur Teilhabe gibt, und das eine postnationale Konstellation, ein postnationales Recht denkbar und vor allem: durchsetzbar macht.
Während beispielsweise die „Menschenrechte“ als Normen mit universellem Anspruch an die Durchsetzung durch nationale Akteure gebunden bleiben – was immer wieder scheitert – wird die Einhaltung der „smart contracts“ durch Algorithmen im Netzwerk durchgesetzt. Im Falle eines Vertragsbruchs verweigert zum Beispiel das gebuchte Auto die Weiterfahrt. In einer Welt vernetzter Dinge werden Gesetze so zur Operation an sich, zur Substanz von Macht.
Dies sind Ansätze einer Neustrukturierung von Recht. Die Trennung von Subjekt und Objekt verschwimmt, alles hat Handlungsmacht.
Kann eine ästhetische Perspektive die Imagination radikal neuer Rechtsformen und ‑verhältnisse ermöglichen? Welche gesellschaftlichen Werte, welche sozialen Formen wollen wir neu codieren?