In einer sich wandelnden Ausstellung und in zwei Veranstaltungen geht das Projekt „Which Gender Has Care?“ dem praktischen Potenzial der 4‑in‑1 Perspektive nach Frigga Haug für die Künste nach.
Haugs Ansatz ist der Versuch, eine neue, feministische Perspektive auf Arbeit zu entwickeln. Sie identifiziert vier menschliche Tätigkeiten: im Erwerbsleben, in der Sorge um sich selbst und andere („Care-Arbeit“), in der eigenen Entwicklung („Self-Care“) und in der politischen Arbeit, die auf die Individuen in gleichen Proportionen verteilt werden sollen. Die 4‑in‑1 Perspektive greift ein bei unseren Vorstellungen von Arbeit, von Geschlechterverhältnissen, von der Verantwortung für sich selbst – und schließlich bei der Gestaltung der Gesellschaft durch politisches Engagement.
Die Kuratorin Yvonne Zindel forscht und arbeitet insbesondere zu Möglichkeiten und Herausforderungen von Digitalität und Nachhaltigkeit. In Ausstellungen, Salons und Veranstaltungsreihen setzt sie sich mit NFTs, Blockchain und Degrowth sowie den Möglichkeiten für ein dekoloniales, antirassistisches, feministisches und inklusives Kuratieren und Vermitteln auseinander.
„Which Gender Has Care?“ verändert sich während seiner Laufzeit langsam vom Schwerpunkt „Lohnarbeit“ in Akt 1 zum Schwerpunkt „Selbstfürsorge“ in Akt 3. Leider sind diese beiden Pole in unseren hyperkapitalistischen Zeiten eng miteinander verknüpft, was sich etwa in der Arbeit von Threads and Tits zeigt. Das Designer-Duo aus Berlin sorgte bei der Berlin Fashion Week im Januar 2023 für Irritation. In ihrer „Adidas Reality Wear Show“ präsentierten geschundene Models Outfits, die die schlechten Arbeitsbedingungen von adidas thematisieren.
In der Webserie Robotron – a tech opera setzt sich Nadja Buttendorf, inspiriert durch die eigene Familiengeschichte, mit den politischen, materiellen und sozialen Bedingungen im VEB Kombinat Robotron, dem größten Computerhersteller der DDR, auseinander. The Future of Nothing von Jonas Lund umfasst eine Reihe kurzer Erzählungen, die über die Folgen von Automatisierung und KI für die Kunstwelt und darüber hinaus spekulieren. Sebastian Körbs beschäftigt sich ebenfalls mit der Zukunft der zeitgenössischen Kunst: seine Arbeit Nabla Delta fragt nach der Abgrenzung von Kunst, Kunsthandwerk und Design – und dem Erhabenen, Göttlichen in Zeiten von KI und AI. OMSK Social Club widmet sich dem Spirituellen in Form eines Games. Das Spielbrett The Living Virtual Theatre wurde mit Blick auf die Architektur des World Wide Web entworfen. Das Game wird am 20.04. mit einer Performance eröffnet. Suzanne Treisters Aquarelle „HFT (the gardener)“ entstammen aus einer Reihe von Zeichnungen und Computerarbeiten, die sie der fiktiven Figur Hillel Fischer Traumberg (HFT) zuschreibt.
Die ab dem 13.05. gezeigten Arbeiten beschäftigen sich in Akt 2 mit „Care“ im Sinne von Sorgearbeit. Lê Mariables beleuchten ihre eigene Perspektive auf das Thema, wobei sie die Fürsorge untersuchen, die sie selbst geben oder empfangen und produzieren darüber einen Podcast. Ein Bett lädt zum entspannten Nachhören ein.
Berenice Güttler untersucht in ihren zarten Aquarellen die Rolle der Frau als Caretakerin, als Gefäß, als Öffnung. Die dargestellten Figuren scheinen sich jedoch gegen die Zuschreibungen als etwas zu Füllendes zu verwehren.
Am 10.06. schließlich werden für Akt 3 weitere künstlerische Positionen ausgetauscht und ergänzt: bones tan jones zeigt Tectonic Incantations, eine Arbeit, die sich auf den chinesischen Schöpfungsmythos von Pangu bezieht. Hier weicht Selbstfürsorge einer radikalen Sorge um den Planeten, um eine regenerative Zukunft zu entwerfen. Lauryn Youden erinnert mit Lockdown 2020 an unsere allzu sterblichen Körper und ihre Zerbrechlichkeit, die dringend Selbstfürsorge – und politische Verantwortungnahme – benötigen.