24.8. – 5.11.23

„Exercising Collective Disobedience“

Ausstellung

Radikale Fürsorge

Eröffnung  24.08.2023, 19 Uhr

Ausstellungsdauer  24.8. – 5.11.23

Künstler:innen  Alexandra Ivanciu, Jolanta Nowaczyk

Kuratiert durch  Ewa Meister, Valentina Iancu

Alexandra Ivanciu und Jolanta Nowaczyk haben ihre künst­le­ri­schen Kräfte ver­eint, um sich mit den ihnen zur Verfügung ste­hen­den Mitteln in den welt­wei­ten Kampf für einen bes­se­ren Zugang zu repro­duk­ti­ven Rechten ein­zu­brin­gen. Das Projekt „Exercising Collective Disobedience“ wur­de als Generator von Inhalten kon­zi­piert, es ist Katalysator zwi­schen Kunst und Aktivismus und dabei sowohl ideen- als auch hand­lungs­ori­en­tiert. Der Ausstellungsraum wird zu einem edu­ka­ti­ven Ort, einem Pro-Choice Informationspunkt, an dem die Künstlerinnen ver­schie­de­ne Ressourcen zu repro­duk­ti­ver Gerechtigkeit, sei­en sie his­to­risch oder infor­ma­tiv, zusammenbringen.

Geleitet von einem kri­ti­schen Denken, geprägt vom inter­sek­tio­na­len Feminismus, haben die Künstlerinnen ihre kol­la­bo­ra­ti­ve Praxis poli­tisch aus­ge­rich­tet. Dabei neh­men sie Bezug auf Probleme der unmit­tel­ba­ren Realität, wobei die Kreativität als Waffe im „Dienst der Revolution“ steht. Die Dringlichkeit, kon­ser­va­ti­ve und patri­ar­cha­le recht­li­che Zustände welt­weit her­aus­zu­for­dern, bringt sie dazu, trotz der ihnen auf­er­leg­ten Beschränkungen und begrenz­ten Mittel, nach Lösungen zu suchen. Alexandra Ivanciu und Jolanta Nowaczyk brin­gen ein akti­vis­ti­sches Kunstkonzept auf den Weg, das zur Solidarität mit dem Kollektiv Dzien Po auf­ruft. Dieses sam­melt Notfallverhütungspillen, um sie an Menschen in Polen zu ver­tei­len. Polen und Ungarn sind die ein­zi­gen bei­den Länder in der EU, in denen die Pille Danach nur auf Rezept und nach ärzt­li­cher Beratung gekauft wer­den kann. Wir leben in Zeiten, in denen das Menschenrecht auf Empfängnisverhütung und Abtreibung gefähr­det ist. In den letz­ten Jahren wur­den repro­duk­ti­ve Rechte in vie­len Ländern zuneh­mend eingeschränkt. 

Neben infor­ma­ti­ven Materialien zu repro­duk­ti­ven Rechten und damit ver­bun­de­nen Politiken umfasst die Ausstellung eine Reihe von Interviews mit Aktivist:innen und bie­tet damit kom­ple­xe Perspektiven auf die unsicht­ba­re Arbeit, die hin­ter der Unterstützung des Zugangs zu siche­ren Abtreibung steht. Das Konzept von „Exercising Collective Disobedience“ fin­det sich in ver­schie­de­nen Elementen der Ausstellung wie­der — wie die Übung zum Kauf von Pillen, die Herstellung von Mixgetränken auf Basis alter Kräuterkenntnisse, sowie die phy­si­sche Bereitstellung des Raumes durch Aktivist:innen. Die Nutzung der Ausstellung als Aufruf, Menschen zum Pillenkauf zu ermu­ti­gen und sich damit aktiv für die Auseinandersetzung um repro­duk­ti­ve Gerechtigkeit ein­zu­set­zen, sowie die Verschiebung von Mitteln aus dem krea­ti­ven Bereich in den akti­vis­ti­schen, sind als gastfreund:innenschaftliche Gesten zu ver­ste­hen. Das gesam­te Projekt möch­te eine ein­la­den­de Atmosphäre für bestehen­de Ideen und Aktionen schaf­fen. Was kann die Kunst aus­rich­ten? — Sie kann inner­halb ihres Agitationsrahmens Verantwortlichkeiten in der Gesellschaft hin­ter­fra­gen und sich für einen sozia­len Wandel enga­gie­ren. „Exercising Collective Disobedience“ ist ein Manifest, ein Aufruf zur Solidarität, eine Einladung zur Tat, ein Weckruf.

Zusätzlich zur Ausstellung haben die Künstlerinnen eine Webseite erstellt, die wei­te­re Informationen zu Formen des kol­lek­ti­ven Ungehorsams versammelt.
http://libraryofcollectivedisobedience.com/

Fotos ©Alexandra Ivanciu

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Alexandra Ivanciu (geb. 1988) ist eine Künstlerin mit Sitz in Leipzig. Sie wuchs in Bukarest (Rumänien) auf, wo sie einen sehr frei­en Zugang zur Pille Danach gewohnt war. Im Jahr 2013, als sie in Posen (Polen) leb­te, benö­tig­te sie die Pille Danach, wuss­te jedoch nicht, dass die­se in Polen nicht ohne Rezept erhält­lich ist und ver­such­te ver­geb­lich in letz­ter Minute eine zu kau­fen. Später am Abend hal­fen ihr schließ­lich zwei sehr freund­li­che Krankenschwestern in einer klei­nen Klinik, indem sie ihr ohne ärzt­li­che Konsultation ein Rezept aus­stell­ten, was damals und auch heu­te eigent­lich obli­ga­to­risch ist. So ver­mied sie eine Schwangerschaft. Mit der Erfahrung, dass sie nicht die ein­zi­ge Person mit einer sol­chen Geschichte ist, beschloss sie sich akti­vis­tisch zu enga­gie­ren. In ihrer künst­le­ri­schen Praxis regt sie zur Auseinandersetzung mit repro­duk­ti­ver Gerechtigkeit an. Geprägt vom inter­sek­tio­na­len Feminismus, quee­ren und deko­lo­nia­len Theorien, ver­sucht Alexandra die Grenzen des Kunstraums zu über­win­den, um aktiv zu den Bedürfnissen der Gesellschaft beizutragen.

Jolanta Nowaczyk (geb. 1992) ist eine in Prag ansäs­si­ge Künstlerin und Pro-Choice Aktivistin. Eines Tages im Jahr 2017 erhielt sie von ihrem dama­li­gen Partner die Nachricht, dass der gemein­sa­me Geschlechtsverkehr mög­li­cher­wei­se unsi­che­rer war als gedacht. Viele Stunden spä­ter brach­te er ihr eine Pille Danach an ihren Arbeitsplatz, die sie auf der Toilette ein­nahm. Kurz nach der Einnahme fühl­te sie sich schwin­de­lig, war aber zu beschämt, um den Tag frei zu neh­men. Dennoch war sie erleich­tert, dass die Pille Danach rezept­frei erhält­lich war, im Gegensatz zu ihrem Heimatland Polen. Mit Nutzung die­ses Privilegs half sie Jahre spä­ter bei der Gründung des Kollektivs Ciocia Czesia, das Menschen aus Polen dabei unter­stützt, in der Tschechischen Republik eine lega­le und siche­re Abtreibung zu erhalten.

Ewa Meister (geb. 1994) ist eine in Leipzig ansäs­si­ge Kuratorin. Frühzeitig wur­de sie zur Begleiterin enger Freund*innen, die sich für einen Schwangerschaftsabbruch ent­schie­den. Obwohl sie nicht die­je­ni­ge ist, die die­se Entscheidung getrof­fen hat, haben die­se Erfahrungen ihr die wesent­li­che Rolle von Solidarität und Unterstützung bei der Bekämpfung gesell­schaft­li­cher Stigmata gezeigt. Seitdem sie im kura­to­ri­schen Bereich tätig ist, ist es ihr Bestreben, femi­nis­ti­schen Ideen, Kunst und Konzepten von Künstler*innen, Aktivist*innen und Praktiker*innen Sichtbarkeit zu ver­schaf­fen. Dies führ­te sie zur Mitgründung des Vereins SPACE TRANSFORMER e.V., der sich in sei­ner trans­kul­tu­rel­len und trans­dis­zi­pli­nä­ren Arbeit die­sen Leitlinien ver­pflich­tet fühlt.

Valentina Iancu ist Autorin mit einem Hintergrund in Kunstgeschichte und Bildstudien. Sie hat­te früh Begegnungen mit Erzählungen zu Abtreibungen, da die­se wäh­rend der kom­mu­nis­ti­schen Zeit ille­gal von einem ihrer Familienmitglieder in einer klei­nen Stadt im Süden Rumäniens durch­ge­führt wur­den. Daher ist sie sich dem Recht von Frauen* auf vol­le Kontrolle über ihre Körper bewusst. Sie enga­giert sich akti­vis­tisch für ver­schie­de­ne Anliegen und setzt in ihrer schrift­stel­le­ri­schen und kura­to­ri­schen Praxis kri­ti­sche Denkwerkzeuge ein, die dar­auf abzie­len, eine Sehnsucht nach Veränderung zu wecken.
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Grafikdesign: Jana Hrádková
Raumdesign: Christian Brens
Fotos: ©Alexandra Ivanciu

 


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